Eine Frage der Solidarität

giugno 11, 2013


Pubblicato In: Articoli Correlati


Von LISA NIENHAUS und CHRISTIAN SIEDENBIEDEL

Die Europäische Zentralbank muss sich in Karlsruhe rechtfertigen. Denn ihre getätigten und angekündigten Anleihkäufe sind umstritten. Am Ende geht es aber schlicht um die Frage, welche Solidarität die Europäer sich leisten wollen. Und können.

Das Wort hat der Angeklagte Asmussen. Nein, Angeklagter ist Jörg Asmussen heute vor dem Bundesverfassungsgericht nicht, er ist als Sachverständiger geladen. Und doch ist es sein Haus, das hier vor Gericht steht: die Europäische Zentralbank, eine europäische Institution, in deren Direktorium Asmussen sitzt, muss vor einem deutschen Gericht Rede und Antwort stehen.

Fünfzehn Minuten darf Asmussen sprechen – danach nur noch, wenn er gefragt wird. Fünfzehn Minuten, die er nutzen muss. Denn es ist die Euro-Rettungspolitik der EZB, um die sich alles dreht.

ESM/EZB nennt das Gericht das Verfahren ganz offiziell, nicht mehr ESM/Fiskalpakt wie noch im vergangenen Jahr, als es vor allem um den Rettungsfonds ging. Jetzt geht es um die EZB: Darf die EZB Staatsanleihen von europäischen Krisenländern kaufen? In unbegrenzter Höhe. Um den Euro zu retten – „whatever it takes“, wie EZB-Präsident Mario Draghi es vergangenen Sommer in London ankündigte?

Oder darf sie es nicht, weil dieses Handeln negative Auswirkungen auf Deutschland hat, die von unserer Verfassung nicht gedeckt sind? Denn eigentlich hat die Europäische Zentralbank gar nichts mit der deutschen Verfassung zu tun. Was sie tun darf, wird durch europäische Verträge festgelegt. Doch die Richter fühlen sich gleichwohl zuständig. Sie nutzen dafür einen juristischen Kniff. Die europäischen Institutionen sind nämlich nur befugt zu handeln, sofern die Mitgliedstaaten sie dazu ermächtigen. Und das Bundesverfassungsgericht kann überprüfen, ob dieser Ermächtigungsrahmen überschritten wurde.

Jörg Asmussen muss seine Sache also gut machen, verteidigt er doch das, was sein Chef, der mächtige Mario Draghi, erst erdacht hat. Asmussen hat sich um den Job nicht gerissen. Aber Draghi wollte auf keinen Fall in Karlsruhe erscheinen. Welcher Präsident sieht sich schon gerne vor Gericht als Quasihauptangeklagter? Lange haben sie im EZB-Turm in Frankfurt gebrütet, wen sie schicken sollen. Erst spät wurde entschieden.

Schließlich fiel die Wahl auf Asmussen. Er, der früher im Berliner Finanzministerium gearbeitet hat, kennt wie kein Zweiter das deutsche Verfassungsgericht. Er kann auf jedes Detail in der mündlichen Verhandlung reagieren, in einer Sprache, die im Privathaushalt des Italieners Draghi nur die Ehefrau lernt.

In Karlsruhe prallen Welten aufeinander. Denn die EZB ist überzeugt: Die Euro-Rettungspolitik ist richtig und dabei insbesondere das Programm zum Ankauf von Staatsanleihen, das die Märkte seit Mitte vergangenen Jahres erkennbar beruhigt hat. Die EZB leugnet, dass sie mit dieser Ankündigung ihr Mandat überzogen hat, ein Mandat, das ihre Arbeit strikt auf die Geldpolitik beschränkt, ihr aber verbietet, Staaten zu finanzieren: Das ist Aufgabe der Fiskalpolitik; dafür sind die Regierungen der Staaten zuständig.

Die Deutsche Bundesbank missbilligt die Politik der EZB seit geraumer Zeit. Jens Weidmann, ihr jungenhaft wirkender Präsident, findet: Staatsanleihen maroder Südländer zu kaufen ist nicht Aufgabe der Geldpolitik. Es ist Staatsfinanzierung – mag die EZB sich auch drehen und wenden und alles als reine Geldpolitik interpretieren.

Asmussen muss deutsche Richter beruhigen
Asmussen und Weidmann kennen einander seit Studientagen, später aus ihrer Arbeit in der Politik, jetzt regelmäßig aus dem Rat. Sie waren politische Freunde in der Regierung Merkel. Jetzt sind sie Kontrahenten. Doch trotz aller Differenzen über den Kurs der EZB bezeichnen sie sich weiter als Freunde – das muss allerdings eine sehr weite Definition von Freundschaft sein. Denn private Treffen zum Bier oder mit den Frauen und Kindern gehören nicht dazu.

Während Asmussen noch an seiner Rede feilt, ist Weidmanns Monolog längst geschrieben, an diesem Wochenende redigiert er den Text noch einmal. Aber die Argumente stehen fest. Weidmann wird wie immer bewundernswert kontrolliert und nervenaufreibend sachlich vortragen – und Stück für Stück darlegen, wie groß das Haftungsrisiko für Deutschland ist, sollte die EZB tatsächlich Anleihen kaufen. Dafür ist die Bundesbank Expertin, laufen mögliche Verluste schließlich am Ende über ihre Bilanz zum Finanzministerium, um sich dort in Staatsschuld zu verwandeln.

Das ist der Punkt, um den es in dem juristischen Verfahren geht. Eine von der deutschen Regierung unabhängige europäische Zentralbank könnte durch ihr Handeln den Haushalt der Deutschen belasten, ohne dass das dafür zuständige Gremium – das Parlament – davon auch nur Notiz genommen hätte. Weidmann weiß genau: Wenn er diesen Punkt benennt, kann er die Deutschen schnell aufrütteln, seien sie nun Bauarbeiter oder Bundesverfassungsrichter.

Er muss nicht viel mehr tun, als sich an die Fakten zu halten und seine bekannte Meinung zu den Staatsanleihekäufen zu wiederholen. Denn die meisten Deutschen stehen sowieso hinter ihm, geht es doch um ihren Geldbeutel. Wenn die EZB klammen Staaten Geld leiht, das die womöglich nicht zurückzahlen, dann müssen am Ende vor allem die Deutschen haften.

Eine Anhörung vor dem Verfassungsgericht ist auch immer großes Theater. Weidmann hat den Geldbeutel der Deutschen als Mittel der Emotionalisierung, Asmussen hat eine dramatische Geschichte, mit der er die Zuhörer ängstigen und von der Angemessenheit der EZB-Politik überzeugen kann. Es ist die Geschichte weniger Tage im Sommer 2012, als die Renditen für Staatsanleihen zu explodieren drohten und das Eurosystem zusammenzustürzen drohte. Dann kamen die beiden Sätze von Mario Draghi, wie ein Magier hat er gesprochen. Und seither ist Ruhe – ohne dass die EZB bisher auch nur eine Anleihe kaufen musste.

Doch Asmussen wird es nicht bei dieser dramatischen Geschichte belassen. Er wird, und das ist neu, präzisieren. Andere werden sagen, er wird zurückrudern. Wie auch immer: Er wird die Grenzen des Anleiheprogramms aufzeigen, die sich die Notenbank selbst setzt für die Anleihekäufe. Hatte Draghis Rhetorik nicht immer davon gelebt, dass die EZB Anleihen „unbegrenzt“ kauft? Ist er nicht der Mann, der die große Druckerpresse hat, mit der alle Spekulanten in ihre Schranken gewiesen werden können?

Es ist eine Gratwanderung. Asmussen darf nicht so reden, dass er die Märkte beunruhigt. Aber er muss so argumentieren, dass er die deutschen Richter beruhigt. Asmussen muss lavieren. Dabei kommt im zugute, dass er der dynamischere Redner von beiden ist. Wenn er am Rednerpult steht, dann gerne einen Fuß vor dem anderen, die Hände fest aufgestützt, die Arme durchgestreckt, den kahlen Kopf nach vorne gereckt – als stünde er im Startblock, fertig für den 400-Meter-Hürden-Lauf.

EZB schreibt Stellungnahme nicht selbst
So redet er auch. Die Kontrahenten sind als Sachverständige geladen, Beschwerdeführer – so heißen die Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht – sind andere: 37.000 Bürger, darunter fünf bekannte Professoren, außerdem der Verein „Mehr Demokratie“ und die Fraktion der Linken im Bundestag. Es ist die größte Verfassungsbeschwerde in der Geschichte des Gerichts. Die Beschwerdeführer bemängeln vieles und wollen auch nicht alle dasselbe. Einig sind sie sich aber in einem: Die irrsinnige, teure und verfassungswidrige Euroretterei muss gestoppt werden. Die EZB überschreite ihr Mandat, das ihr von den Staaten Europas übertragen wurde. Es umfasse ausschließlich die Geldpolitik – nicht die monetäre Finanzierung notleidender Staaten mit der Druckerpresse.

Alle blicken deshalb jetzt auf das Rededuell zwischen Asmussen und Weidmann. Worauf Asmussens Rede hinauslaufen wird, wie gesagt, ist klar: Mario Draghi und seine EZB konnten nicht anders im vergangenen Sommer. Es war eine einmalige Notsituation, in der sie sich für Staatsanleihenkäufe entschieden haben. Was die Geschichte aber auch sagt: Der EZB ist völlig bewusst, dass sie sich am Rande der Legalität bewegt oder sogar darüber hinausgeschossen ist. Sonst müsste sie nicht auf mildernde Umstände hoffen, weil sie im Angesicht höchster Bedrohung zur Selbstverteidigung griff.

Ob das Gericht davon überzeugt werden wird, ist ungewiss. Und das ist auch Asmussen und Draghi bewusst. Deshalb ist das Herzstück der Rede eines, das man so nicht erwartet hätte. Er wird auf die Grenzen des Staatsanleihekaufprogramms eingehen. Grenzen, die es ja eigentlich gar nicht geben sollte, hatte Mario Draghi doch etwas anderes versprochen.

Damals, im Juli 2012, hielt er vor Investoren in London eine spontane Rede, frei, ohne Manuskript, als Beitrag auf einem Podium. Doch zwei Sätze von ihm genügten, um die ob der Eurokrise erregten Märkte zum innehalten zu bringen. „Wir werden alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten“, sagte Draghi. „Und glauben Sie mir, es wird ausreichen.“ Es sind zwei Sätze, die man nicht vergisst. „Alles Notwendige“ wurde ein paar Monate später zu einem Programm namens OMT (Outright Monetary Transactions), das versprach, im Notfall unbegrenzt Staatsanleihen von Südländern zu kaufen.

Oder, wie es Mario Draghi am 6. September etwas technisch verklausuliert äußerte: „Es werden keine ex ante quantitativen Grenzen gesetzt für die Größe der OMT.“ Die Märkte jubilierten, Aktienkurse stiegen, die Zinsen auf südeuropäische Staatsanleihen fielen. Mario Draghi wurde daraufhin allüberall zum Mann des Jahres 2012 ausgerufen. Er, der Retter Europas, der den trudelnden Staaten Zeit kauft, damit sie sich reformieren können.

Nun gibt es also doch Grenzen. Und die wird nicht nur Asmussen in seiner Rede aufzeigen. Sie stehen auch schon in der Stellungnahme der EZB für das Gericht. Geschrieben hat das Papier nicht die Zentralbank selbst oder ihre Rechtsabteilung, sondern ein deutscher Europarechtler in ihrem Auftrag: der Göttinger Professor Frank Schorkopf, 42 Jahre alt und damit ein junger Hüpfer in diesem Verfahren. Aber natürlich ist das alles mit Mario Draghi engstens abgestimmt.

Die EZB will nicht unbegrenzt retten
Die Brisanz dieses Gutachtens hat bislang noch kaum jemand bemerkt. Sie sollte auch nicht bemerkt werden. Denn das könnte auch die Märkte beunruhigen. Aber wer liest schon Rechtsgutachten? Bei genauem Hinsehen wird hier erstmals offenbar, was die Notenbanker wohl immer schon als Grenzen überlegt und miteinander verhandelt hatten, aber gezielt nie öffentlich gemacht hatten. So steht hier, dass die Notenbank nur Anleihen aufkauft, wenn es ein Programm des Rettungsfonds ESM für das Land gibt. Zudem nur Anleihen, die eine kurze Laufzeit von ein bis drei Jahren haben. Soweit nicht neu.

Aber dann kommt es: Die Anleihen, die die EZB kauft, müssen erst zumindest mehrere Tage auf dem Markt sein. Diese Stillhaltefrist werde „angemessen und in Tagen zählend“ sein, heißt es im Gutachten. Es reiche nicht, nur „eine logische Sekunde“ zu warten. Damit will die EZB sicherstellen, dass sie keine Anleihen mehr oder minder direkt vom Staat kauft. Denn der „unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln“ der Staaten ist ihr per Europarecht eindeutig verboten. Wie viele Tage es genau sein sollen, ob nun zwei oder 20, ist aber nicht genannt.

Beide Vorgaben zusammen – nicht unmittelbar und mit kurzer Laufzeit – begrenzen die Höhe der möglichen Anleihenkäufe auf einen Betrag, den man in Euro messen kann: 524 Milliarden. Das sind die Anleihen von Spanien, Italien, Irland und Portugal, die derzeit unter einem OMT-Programm als Kauf infrage kämen. Alle Anleihen dieser Länder hingegen hätten ein Volumen von 2,2 Billionen Euro gehabt. Gewiss, 524 Milliarden sind viel Geld. Aber unbegrenzt sieht anders aus.

Die Zentralbank schränkte zugleich ein, dass sie zu bestimmten Zeiten gar keine Staatsanleihen von Krisenstaaten kauft. Und zwar dann, wenn in den betreffenden Staaten gerade geprüft wird, ob sie die Vorgaben erfüllen, die ihnen vom Rettungsschirm auferlegt wurden. Erst nach Abschluss dieser Prüfung entscheidet die EZB wieder, ob sie Anleihen kauft. Im praktischen Rettungsprozess scheint das kompliziert, fast unmachbar. Aber die EZB sah sich durch das Verfassungsgericht offenbar dazu gezwungen.

Und dann folgt im Gutachten der Satz, der Investoren aufhorchen lassen sollte. „Die Ankündigung ,ex ante unbegrenzter Staatsanleihenkäufe ist demnach an die Märkte gerichtet, dass es sich nicht lohnen wird, die finanzielle Kapazität des Europäischen Systems der Zentralbanken zu testen.“ Heißt: Vergangenen Sommer ging es um Rhetorik, die die Märkte beruhigen sollte. Aber in Wirklichkeit will die EZB eben gar nicht unbegrenzt retten.

Die Euro-Rebellen waren schon bei der Währungsunion 1948 dabei
Dass die Europäische Zentralbank dies unter dem Druck des Verfassungsgerichts zugibt, ist erstaunlich. Es zeigt: Mario Draghi weiß sehr wohl, dass er das deutsche Verfassungsgericht und dessen Präsidenten Andreas Voßkuhle fürchten muss. In den vergangenen Tagen war Draghi sichtlich bemüht, den Eindruck zu erwecken, als ob er der Verhandlung nicht die allergrößte Bedeutung beimisst.

Er sei sicher, dass die Richter in Karlsruhe „unabhängig, fair und kompetent“ entscheiden werden, sagte er am vergangenen Donnerstag. Immerhin kann das Gericht Deutschland im theoretischen Extremfall sogar zwingen, den Euro zu verlassen, um eine Haftung Deutschlands für die Anleihekäufe der EZB auszuschließen. Das sagt immerhin der frühere Verfassungsrichter Udo Di Fabio (F.A.Z. vom 3. Juni)

Soweit wird es wohl nicht kommen. Aber ob dem Gericht die Selbstbegrenzung, die die EZB jetzt vornimmt, ausreicht, ist auch nicht klar. Schließlich gibt es die Möglichkeit, dass aus 524 Milliarden Euro schnell 550 oder auch 600 Milliarden Euro werden, wenn Staaten sich auf einmal darauf verlegen, nur noch ein bis drei Jahre laufende Staatsanleihen, die die EZB kaufen darf, aufzulegen. Die Schuldnerländer können sich auf die neue EZB-Linie einrichten.

Die Beschwerdeführer, das ist schon jetzt klar, werden sich auf jeden Fall kaum beeindrucken lassen von Draghis Zugeständnissen. Der wohl Prominenteste unter ihnen ist Peter Gauweiler, 63, CSU-Bundesabgeordneter aus München, früher wegen seiner konservativen Grundeinstellung gern „der schwarze Peter“ genannt. Der Rechtsanwalt mit dem massigen Sturkopf und dem weißen Schnäuzer ist bekannt für klare Meinungsäußerungen in schönstem Bayerisch und scheut eine gute juristische Auseinandersetzung nie.

Gauweiler kann über viele Verfassungsbeschwerden ins Plaudern kommen, bei denen er schon dabei war: Egal, ob es gegen den Lissabon-Vertrag zur EU-Reform ging oder gegen den ersten Euro-Rettungsschirm – Gauweiler klagte, sobald es ihm mit der europäischen Einigung zu weit ging.

Jetzt wettert der Bayer mit Leidenschaft gegen die Euro-Rettungspolitik. „Wir werden von unseren Grundrechten abgeschnitten“, sagt Gauweiler. „Es ist eine Verletzung des demokratischen Prinzips, wenn die Europäische Zentralbank – ohne jede parlamentarische Ermächtigung – unbegrenzt Anleihen notleidender Eurostaaten aufkaufen könne, für die der deutsche Steuerzahler haftet.“ Deutschland gehe nach oben unbegrenzte Risiken ein – „ohne dass der Bundestag auch nur gefragt wird.“

Im Extremfall, so meint Gauweiler, werde der Bundestag „zu einer Institution wie ein Elternbeirat, der viel über die Belange der Schule diskutieren kann – aber über die Verteilung der Mittel entscheidet nicht er, sondern die Schulverwaltung.“

Neben dem streitbaren Bayern bilden fünf weißhaarige Professoren den harten Kern der Euro-Kläger. Die schärfsten Euro-Rebellen, das wird vor Gericht einmal wieder klar werden, sind diejenigen, die drei bis fünf Jahrzehnte ihres Lebens mit der D-Mark verbracht haben, die sich am besten sogar noch an ihre Einführung 1948 erinnern. Wilhelm Hankel, 84, war in den 60er Jahren Ministerialdirektor im Wirtschaftsministerium unter Karl Schiller.

Ein ausbrechender Rechtsakt müsste gravierend sein
Das frühere SPD-Mitglied hat seinerzeit den Bundesschatzbrief erfunden und klagte gegen den Euro schon 1997 bei seiner Einführung. Ebenso wie Joachim Starbatty, 73, und Wilhelm Nölling, 79, die beide Wirtschaft gelehrt haben. Und Karl Albrecht Schachtschneider, 72, der vor seiner Emeritierung Staatsrechtslehrer an der Universität Nürnberg-Erlangen war. Zu ihnen stieß noch Dieter Spethmann, 87, in den 70er und 80er Jahren Vorstandschef beim Thyssen-Konzern.

Die fünf Verschworenen schicken in Karlsruhe zunächst ihre Rechstbeistände in den Ring. Sobald es aber um wichtige Fachfragen geht, wollen sie selbst höchstpersönlich einmischen, versichern sie. „Wenn der ökonomische Sachverstand gefragt ist, melden wir uns zu Wort“, sagt Hankel, der Wirtschaftsprofessor, der gerade mal wieder ein eurokritisches Buch geschrieben hat. Er findet: „Eigentlich müssten die Richter auch die ökonomischen Folgen der Anleihekäufe der EZB einbeziehen. Was sie machen werden, ist aber vor allem eine formaljuristische Prüfung, ob die Anleihekäufe mit dem Verfassungsrecht vereinbar sind.

Zum Kreis der prominenten Eurokläger gehört außerdem noch eine Frau: Herta Däubler-Gmelin, einst Bundesjustiziministerin für die SPD und damit prominenteste Eurorettungs-Gegnerin von links. Sie wird erst am Mittwoch zur Verhandlung kommen können, was ihre Empörung über die EZB nicht mindert. Sie argumentiert dabei, ganz Justiziministerin a.D., juristisch: „Die EZB versucht mit dem Staatsanleihenkauf-Programm Maßnahmen zu ergreifen, die die Grenzen und Restriktionen unberücksichtigt lassen, die Karlsruhe in seiner Entscheidung zur einstweiligen Anordnung auf unseren Antrag hin eingeführt hat.“ Was sie damit sagen will: Die EZB missachtet das Bundesverfassungsgericht.

Denn sie legt ein Programm auf, das Risiken für den deutschen Staatshaushalt beinhalten könnte, die weit über das hinausgehen, was das Gericht als Grenze definiert hat im vergangenen Herbst. Was sie erreichen will, ist aber etwas ganz Praktisches: Die Bürger sollen darüber abstimmen, wie viel Verantwortung, auch Budget-Verantwortung, der europäischen Ebene übertragen wird. Derzeit passiere das Gegenteil: Deutschland entwickle sich zur „Merkelschen ,marktkonformen Demokratie’, gelenkt durch eine selbsternannte Finanzelite“.

Den Klägern geht es also um Demokratie und Mitbestimmung, um Ökonomie und die Grenzen der Geldpolitik und Eurorettung. Das alles kleiden sie in juristische Argumentationen und Spitzfindigkeiten über viele hundert Seiten. Deren ökonomische Argumente könnte man – so bemerkt ein Prozessbeteiligter entnervt – gut und gerne auf zwei Seiten zusammen fassen. Aber in Karslruhe ist eben die ökonomische Argumentation nur in zweiter Linie wichtig, in erster Linie geht es ums Recht.

Einfach ist die juristische Prüfung der größten Verfassungsbeschwerde aller Zeiten nicht. Schließlich ist für alle Fragen, die Europa betreffen, in erster Linie das europäische Recht und damit der Europäische Gerichtshof zuständig. Das Bundesverfassungsgericht kann nicht einfach prüfen, ob die EZB Europarecht verletzt. Allerdings kann das Bundesverfassungsgericht prüfen, ob die rechtlichen Befugnisse, die von einer nationalen auf eine übernationale Institution übertragen wurden, möglicherweise überschritten wurden. Die europäischen Institutionen sind nämlich nur befugt zu handeln, sofern die Mitgliedstaaten sie dazu ermächtigen.

Das Bundesverfassungsgericht kann überprüfen, ob der Ermächtigungsrahmen der deutschen Zustimmungsgesetze zu den Verträgen zur Währungsunion überschritten wurde. Solche Kompe-tenzüberschreitungen nennen die Juristen ein Handeln „ultra vires“ (“jenseits der Vollmacht“) oder auch einen „ausbrechenden Rechtsakt“. Auf solche Fälle will das Verfassungsgericht die Euro-Rettungspolitik laut Tagesordnung abklopfen.

Allerdings: „Ein ausbrechender Rechtsakt müsste sehr gravierend sein und mit einer gewissen Hartnäckigkeit verfolgt werden“, sagt der Frankfurter Verfassungsrechtler Helmut Siekmann.

Haften alle für alle – oder jeder für sich?
Doch um das zu beurteilen, müssen die Richter nicht nur das Recht kennen, sie brauchen auch ökonomische Expertise. Als Sachverständige in Karlsruhe treten deshalb neben Weidmann und Asmussen auch auf: der Münchner Wirtschaftsprofessor Hans-Werner Sinn, der seine Kritik an der Rettungspolitik der EZB sogar schon zu einem Bestseller verarbeitet hat; der frühere Bundesbankvorstand Franz-Christoph Zeitler; der Ökonom Harald Uhlig von der Universität Chicago. Zudem zwei Chefs mächtiger Forschungsinstitute: Clemens Fuest, Präsident des ZEW in Mannheim, und Marcel Fratzscher, Präsident des DIW in Berlin.

Sie klären den wichtigsten Streitpunkt zwischen Europäischer Zentralbank und Bundesbank. Das ist die Frage: Ist das Staatsanleihekauf-Programm nun Geldpolitik oder nicht?

Ganz konkret geht es um Zinsen. Die EZB steuert die Zinsen der Staatsanleihen, wenn sie Anleihen kauft. Soll sie das? Und sind unterschiedlich hohe Zinsen überhaupt ein Problem, das von der Notenbank gelöst werden muss?

Die EZB findet: Ja. Denn die höheren Zinsen, die Unternehmen in Spanien, Italien oder Griechenland für Kredite zahlen müssen, waren im vergangenen Sommer ihrer Meinung nach hauptsächlich spekulativ begründet. Die Kreditgeber befürchteten, ein Land könnte aus der Eurozone austreten oder rausfliegen. Für dieses Risiko verlangten sie einen irrational hohen Zins, findet die EZB. Das störte den „zinspolitischen Transaktionsmechanismus“ der Notenbank. Da hört man die Strategie der EZB: Wenn die Notenbank die Zinsen senkt, was ja Geldpolitik ist, kommt das in manchen Ländern gar nicht mehr an. Die Anleihenkäufe sind also ein Mittel, den „zusätzlichen Zinsaufschlag“ zu beseitigen, „der auf Ängsten um die Zukunft des Euro beruht“.

Gegenteilig argumentiert die Bundesbank. Sie hält die hohen Zinsen für Griechenland & Co. für ganz normale, also ratinonale und nicht zu beanstandende Risikoaufschläge. Auch ZEW-Präsident Fuest sieht das so. „Die Zinsen für die Südländer sind im vergangenen Jahr so hoch gestiegen, weil die Märkte erwarteten, dass die Eurozone auseinanderbrechen könne“, sagt er. „Diese Erwartungen, sagt die EZB, waren irrational.

Das ist natürlich nicht der Fall.“ Denn: „Es ist leider durchaus eine rationale Erwartung, dass es Austritte aus dem Euro geben kann.“ Das wird er dem Gericht auch ganz klar sagen. DIW-Präsident Fratzscher prognostiziert: „Die Sachverständigen werden ein breites Spektrum unterschiedlicher Meinungen vorbringen, was Nicht-Ökonomen sicher verwirren kann.“ Und da Verfassungsrichter Nicht-Ökonomen sind, ist Verwirrung programmiert. Was denkt denn nun die Ökonomie über die EZB? Sie ist gespalten.

Hinter all dem Streit der Juristen und Ökonomen steht am Ende die eine große Frage: Wie viel Solidarität wollen die Staaten Europas untereinander üben? Haften alle für alle – oder jeder für sich? Jene, die für Haftungsübernahme plädieren, führen an, dass Deutschland schließlich vom Euro profitiert habe. Meint Solidarität nicht, dass man ein wenig von diesem Vorteil an die Partner zurückgibt? Dass der Starke für den Schwachen einsteht? So die moralische Argumentation, neben der juristischen und ökonomischen. Natürlich steht sie in Karlsruhe nicht zur Debatte, ist allenfalls als Text hinter den Reden zu hören.

Dauerduell Draghi gegen Weidmann
Die anderen sagen, dass Solidarität Freiwilligkeit voraussetzt – dass also eine verordnete Umverteilung eben gerade nicht der Idee der Solidarität entspricht. Hilft man überschuldeten Staaten wirklich, wenn man ihnen einfach Geld gibt und so den Anreiz für Reformen, fürs Sparen verringert? Oder bringt man sie so in Abhängigkeiten?

Je öfter Weidmann und Draghi in ihrem Konflikt betonen, es gehe nur um Geldpolitik, desto mehr spürt man, dass es auch um diese zwei Konzepte von Solidarität geht – das eher kollektivistische und das eher individualistische. Weil letztlich die Frage, ob man die Regeln der Geldpolitik streng nehmen muss oder im Notfall überschreiten darf, davon abhängt, ob es höhere Ziele geben mag, denen sie unterzuordnen sind.

Welches Konzept von Solidarität sich durchsetzt und welches juristisch wasserdichter ist, das wird diese Woche debattiert – aber nicht entschieden. Mit dem Urteil des Verfassungsgerichts wird erst nach der Bundestagswahl gerechnet.

Aber alle spekulieren fleißig, wie es am Ende kommen wird. Als relativ unwahrscheinlich gilt, dass das Gericht alles laufen lässt und sich für unzuständig erklärt. Ebenso unwahrscheinlich ist, dass es das Anleihekaufprogramm als grundsätzlich verfassungswidrig einstuft. Aber es könnte Grenzen der Anleihenkäufe aufzeigen. Für seine „Ja, aber“-Entscheidungen ist das Gericht schließlich bekannt. So könnten die Richter Vorgaben hinsichtlich des Volumens oder der zeitlichen Befristung machen. Oder für die Kursabschläge, zu denen die Anleihen gekauft werden dürfen, um das Risiko für die Notenbank überschaubar zu halten.

Das glaubt wohl auch die EZB – sonst hätte sie nicht schon selbst so detailliert offen gelegt, wo die Grenzen ihres Anleihekaufs liegen. Im Dauerduell Draghi gegen Weidmann wäre das ein Punkt für Weidmann, das ist klar. Allerdings könnte es auch nur ein Pünktchen sein, wenn das Verfassungsgericht sich damit begnügt, was die EZB schon selbst vorschlägt. Schließlich könnte man sich viel härtere Grenzen für die Anleihekäufe vorstellen. Dann wäre Draghis Wort vom Sommer – „whatever it takes“ – nicht mehr zu halten.

Das wäre das Traumergebnis für Weidmann – und natürlich der Kläger. „Wenn das gelingt, werde ich mich in Aachen für den Karlspreis vorschlagen lassen“, sagt Wilhelm Hankel. Der Preis wird alljährlich an Christi Himmelfahrt verliehen – für „besondere Verdienste um Europa und die europäische Einigung“.

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