Ruth Johanna Maria Witzenmann Wolber

marzo 28, 2012


Pubblicato In: Articoli Correlati, Convegni

In memoriam

In diesen Tagen, in denen wir versuchen, uns vollkommen bewusst zu werden, dass Ruth uns verlassen hat und dass wir von jetzt an ohne sie sind, habe ich mich öfters gefragt, welches ihr Geheimnis war, welche Eigenschaften sie so einzigartig, so einmalig machten. Das Wort, das mir in den Sinn kommt, ist Eleganz. Ruth ist vielleicht, von den Personen, die ich gekannt habe, die eleganteste.

Elegant im Sinne der perfekten Vollkommenheit. Elegant waren ihr Aussehen, ihre Gebärden und ihr Lächeln, ihre Blicke und ihre Worte, in allem was sie tat. Nie konventionell, nie gekünstelt, Eleganz war ihr natürliches sein. Bis zum letzten. Es war vor zwei Monaten, als ich sie zum letzten Mal mit unserer Tochter Domenica besuchte: sie erklärte sich etwas müde, wurde vorsichtshalber von Frau Wolf bis zum Tisch gestützt . Sonst aber war alles wie immer, bloß etwas langsamer: die Aufmerksamkeit für alle, das sich angenehme Entwickeln des Gesprächs, die präzisen Urteile, das wache Interesse für Personen und Ereignisse und das fabelhafte Gedächtnis. Und als wir Abschied nahmen und ich an der Türe war, „Vielleicht ist es das letzte Mal, dass wir uns sehen“, sagte sie mit einem kleinen Lächeln, damit es nicht schmerzhaft oder sentimental laute, rührend aber nicht traurig.

Bei einer Person, die mit einem so langen Leben gesegnet wurde, ist es unvermeidlich, dass man an die Zeit denkt. Die Zeit hat auch uns gesegnet, indem sie Ruth‘s Schönheit, Humor und Liebenswürdigkeit, für unser Glück, bis zum letzten bewahrte. Die Zeit im Sinne von allem, was sie in diesen Jahren erlebte. Ruth war das Ergebnis einer hundertjährigen Kultur, einer bürgerlichen Kultur, deren Erbin und Nachfolgerin sie war. Die Erziehung, die Erfahrungen, die Bücher, die Personen, das Treffen und das Lesen, das Gute und das Boese, verarbeitet, gefiltert, vergessen und doch anwesend, wurde uns von Ruth als Eleganz zurückgegeben. Und da ihre Denkungsart modern war, war auch ihre Eleganz modern.

In dieser langen Zeit haben auch die schrecklichen Ereignisse des vorigen Jahrhunderts stattgefunden: Ruth war Zeugin davon, und man versucht sich vorzustellen, wie sie das überlebt hat. Ich werde nie vergessen, wie sie mir von der tragischen Nacht erzählte, in welcher Pforzheim zerstört wurde: mit unversöhnlichem Leiden, mit immerwährender Bitternis, aber ohne ausgesprochenes Urteil. Mich faszinieren ganz besonders die zwanziger Jahre, die ich mir als glücklich vorstelle, die Jahre von München und von Rom, von der Bühne und vom Skifahren, von den Aufnahmen, die für sie als Geschenke gesammelt und gedruckt wurden. Und dann die Jahre nach dem Kriege, meine erste Arbeit in der Karl Friedrichstrasse, als das Unternehmen noch Metallschlauchfabrik hieß, und Ruth für mich noch die „Frau Doktor“ war. Und später die Jahre der Sardischen Esel und meiner Übernachtungen im Hotel Ruf. Ich hatte sie sogar auf die Möglichkeit hingewiesen, dass sie mir ihr Leben erzählen und dass wir es zusammen aufschreiben könnten. Aber es war wahrscheinlich zu spät, denn sie weigerte sich wegen der Anstrengung, und ich zweifelte an meiner Angemessenheit, ein so empfindliches Material richtig zu behandeln. So gaben wir schnell auf. Aber auch heute umfängt der Schmerz sowohl den Verlust ihrer Anwesenheit als auch ihrer Vergangenheit.

Es war nicht einfach, an der Seite eines Mannes wie Walter, von ungeheurem Wissen, Intelligenz und Erfolg, den richtigen Platz zu finden. Eleganz im Sinne von raffinierter bürgerlichen Kultur, erlaubte ihr, strahlend ihre Persönlichkeit durchzusetzen.

Eleganz und dazu eine andere natürliche Gabe, nämlich ihre Fähigkeit, sich auszudrücken. Die Briefe zum Beispiel, die sie an meine Eltern und an Barbara sandte, auf Italienisch und auf einer mit der Zeit altmodisch gewordenen Schreibmaschine getippt: nicht nur die Sätze, sogar die Fehler waren ausdrucksvoll. Man sagt Ausdrucksfähigkeit, und es kommen kleine Details in den Sinn: ein ausgewähltes Wort, ein sinnvoller Blick, die Auswahl eines Geschenkes, und ganz besonders in den letzten Jahren. Und das noch beim letzten Besuch mit unserer Tochter, die mit dem zweiten Namen Ruth heißt: sie liebten einander sehr.

Jeder Tod schließt ein Buch und vollzieht eine Geschichte. Es ist besonders der Fall, wenn ein Leben so lang war und so viele furchtbare Ereignisse durchquert hat. Ich habe einen ganz besonderen Anlass für diese Empfindung: die industrielle Geschichte unserer beider Familien begann vor fast einem Jahrhundert mit dem Vertrag zwischen meinem Vater und den Witzenmann, und ich bin der letzte in der Familie, der noch weiß, wie man Metallschläuche und Kompensatoren herstellt. Walter und Ruth haben meine Eltern sehr geliebt, und Ruth war vielleicht meine liebste Freundin. Aber ich will heute auch Frau Doktor Witzenmann danken für alles, was die Familie in all diesen Jahren für uns bedeutet hat. Auch diese Beziehungen gehören zur bürgerlichen Kultur.

Jeder von uns hat jetzt Anlass, etwas zu bereuen, und ich ganz besonders, sei es nur weil ich Ruth nicht öfters besucht habe. Andere Aufgaben schienen dringender, und wenn man feststellt, was man deswegen verloren hat, ist es zu spät. „Ihr habt nun Traurigkeit“: wir fühlen die Leere, bedauern den Verlust. Aber ich glaube, dass es heute dazu gehört, sich dem Gefühl der Dankbarkeit zu öffnen. Dankbarkeit dafür, eine Person wie Ruth gekannt zu haben, Dankbarkeit für alles, was sie uns in all diesen Jahren geschenkt hat.

Pforzheim, 28 Marzo 2012

Invia questo articolo:
  • email
  • LinkedIn



Stampa questo articolo: